In einem kürzlich veröffentlichten Interview der Zeitung Nowje Izvestija äußerte sich der Vize-Präsident der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation Wladimir Padalko über den aktuellen Stand der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der EU.

Zitate aus dem Interview:

„Unsere Beziehungen mit den europäischen Ländern kann man vor dem heutigen Sanktionshintergrund kaum als richtungsweisend bezeichnen. Viele Experten haben in den vergangenen fünf Jahren von einer grundlegenden Umgestaltung des nationalen Außenwirtschaftsmodells und einer Umorientierung Richtung Südostasien gesprochen. Das stimmt so nicht. Es geht nicht um eine Umorientierung, sondern um eine vor einigen Jahren begonnene bewusste Rückkehr auf die Märkte, die seinerzeit mit dem Markenzeichen „Made in USSR“ gut vertraut waren. In den Jahren der Etablierung der Russischen Föderation haben wir freiwillig unsere Marktpositionen in den südostasiatischen Regionen wie auch in Afrika fast vollständig verloren.“

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„Wir in der Handels-und Industriekammer sind der Ansicht, dass sich sowohl europäische als auch asiatische Bestandteile unserer internationalen Kooperationsplattform zusammenfügen werden. Mit anderen Worten gesagt: der europäische Markt wird für uns nicht weniger wichtig, der ist und bleibt einer der bedeutendsten.“

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„Obwohl die Sanktionskriege und Handelsbarrieren in aller Munde sind, sprechen die Zahlen doch für sich und die russisch-europäische Wirtschaftsbilanz sieht ziemlich solide aus. Der Außenhandel im Zeitraum von Januar bis Oktober 2019 erreichte 205,9 Mrd. Euro. Im Rating der Top-Exporteure in die EU gehört Russland der dritte Platz, gleich nach China und USA. Unter den größten Importeuren aus der EU hält Russland nach den USA, China und der Schweiz den vierten Platz inne. Die Zahlen bestätigen ein großes Interesse der europäischen Unternehmensgemeinschaft am russischen Markt. Ohne die Sanktionskriege wären die Bilanzen noch ermutigender gewesen.

Eine bemerkenswerte Zahl lieferte auch das deutsche Handelsblatt. Laut Angaben lassen die EU-Sanktionen gegen Russland den bilateralen Handel monatlich um 4 Mrd. USD reduzieren. Dabei entfallen 92% aller Geldverluste auf die EU-Staaten, davon allein 35% (667 Mio. USD) auf Deutschland.“

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„Die Europäer sind sich absolut im Klaren, dass deren Nischen auf dem russischen Markt in naher Zukunft — teilweise oder ganz, für eine längere Zeit oder sogar für immer — durch die Firmen aus der Südostasien und Lateinamerika besetzt werden können. Im landwirtschaftlichen Sektor hat die EU ihre Marktpositionen bereits verloren. In Januar haben wir auch die Fischimporte aus Norwegen und Island gestoppt. Dennoch haben die Firmen aus diesen Ländern den russischen Markt nicht verlassen, sondern sich auf den Bau von modernen Fischtrawlern und fischverarbeitenden Betrieben fokussiert, unter anderem in der Region Kamtschatka und auf der Insel Schikotan.“

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„Die russische Handelskammer und ihre Partner in Europa beobachten genau die Marktsituation in der EU und suchen nach neuen Anschlussmöglichkeiten für Unternehmenskooperationen in Zeiten von Sanktionen. Wir haben traditionell starke Beziehungen mit den Handelskammern aus Ungarn, Slowenien, Kroatien und Slowakei. Letztes Jahr wurde ein Memorandum über die Zusammenarbeit mit dem Belgischen Industrie- und Kammertag unterschrieben.“

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„In der HIK Russland sind aktuell neue Kooperationsformate mit der europäischen Wirtschaft im Gespräch. In Februar dieses Jahres findet ein russisch-europäischer Seminar im Rahmen der Initiative „Meet Eurasia“ statt. Außerdem ist eine Teilnahme an der Russland-Konferenz beim DIHK in Berlin geplant. In März führt die Kammer ein gemeinsames Treffen mit deutschen Kollegen durch, bei dem unter anderem das Memorandum zum Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok unterschrieben wird. Und das ist erst ein Ausschnitt aus den Kammeraktivitäten im Fachbereich EU für das Jahr 2020.

Wir sind uns bewusst, dass die Handels- und Industriekammer in heutigen Zeiten eine Brückenfunktion für die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen den nichtstaatlichen Strukturen und den ausländischen Institutionen übernimmt.“